Volkstrauertag abschaffen!
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Volkstrauertag abschaffen!
Für das Ende von NS-Verharmlosung, Naziaufmärschen und deutschen Opfermythen

Im Jahr 2017 ist eine Partei als drittstärkste Kraft in den Bundestag eingezogen, deren führende Protagonisten aus Thüringen das Holocaustmahnmal in Berlin als "Denkmal der Schande" bezeichnen und die eine 180-Gradwende in der Erinnerungspolitik fordern. Es ist der Versuch, dem Gedenken an den Holocaust seinen Stellenwert in der deutschen Erinnerungspolitik zu nehmen und einer Entwicklung den Weg zu bahnen, die den Deutschen die Versöhnung mit der eigenen Geschichte erleichtert. Diesem Versuch der deutschen Rechten, das Nationbuilding zu entkrampfen, kommt der jährliche Volkstrauertag immer wieder gelegen. Der Volkstrauertag, als offizieller Gedenktag fester Bestandteil deutscher Gedenkpolitik, steht im Zeichen der unverschämten Rehabilitierung der deutschen Vernichtungstruppen und der Verharmlosung der deutschen Barbarei.

Der Volkstrauertag und die deutsche Gedenkpolitik

Die Geschichte des Volkstrauertages begann bereits in der Weimarer Republik. Im Jahr 1926 wurde der erste Volkstrauertag begangen, um den deutschen Gefallenen des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Was damals schon seinen Zweck in einer mehr oder weniger intensiven Kriegshetze fand, trat zur Zeit des Nationalsozialismus offen zu Tage. Die Nazis begingen den Volkstrauertag als sogenanntes "Heldengedenken" und auch die heutigen Nazis knüpfen nicht nur begrifflich an diese Tradition an. Nach der militärischen Niederschlagung Nazideutschlands und dem Abbruch des Holocaust durch die Anti-Hitler-Koalition wurde der Volkstrauertag in der alten Bundesrepublik wieder eingeführt. Heute soll ausdrücklich den Toten beider Weltkriege und den Opfern der Gewaltherrschaft aller Nationen gedacht, für Frieden, Versöhnung und Verständigung gemahnt werden. Jeder spezifische historische Charakter jener "Gewaltherrschaft[en]", die durchaus inzwischen auch den Staatskapitalismus der DDR einschließt, geht in einem solchen Gedenken verloren. Die deutschen Täter, die Millionen Menschen ausrotteten, stehen in einer Reihe mit den Mauertoten, den gefallenen Alliierten und den Opfern der Deutschen. Ein solches nivellierendes, also zwischen Opfern und Tätern nicht mehr unterscheidendes, Gedenken im Land der Täter ist für die politische Linke und für alle Menschen problematisch, die dafür eintreten, dass die Bedingungen der deutschen Barbarei, die Bedingungen des eliminatorischen Antisemitismus in diesem Land und weltweit beseitigt werden. Die gleichmachende deutsche Gedenkpolitik zum Volkstrauertag ist Ausdruck eines Bewusstseins, das die wirkliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus ablehnt, verdrängt bzw. diesen überhaupt vergessen machen will. Sie bestätigt nur immer wieder den Satz Paul Spiegels, wonach sich hinter den Rufen nach Frieden die Mörder verschanzen. Eine solche Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit hätte u.a. die Kontinuität jener Bedingungen, die nach Auschwitz führten und die bis in die Gegenwart fortdauern, zu thematisieren und zum Gegenstand politischer Kämpfe zu machen. Im Sinne eines solchen antifaschistischen Kampfes ist ein Gedenken an die deutschen Täter nicht hinnehmbar. Wir gedenken den ermordeten Jüdinnen und Juden, den Kommunistinnen und Kommunisten, den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, den Sinti und Roma sowie all den anderen unzähligen Opfern, die aufgrund einer menschenverachtenden Ideologie ihr Leben lassen mussten. Wir gedenken auch den Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern, den Partisaninnen und Partisanen sowie den Soldatinnen und Soldaten der Anti-Hitler-Koalition. Für dieses Erinnern und Gedenken bedarf es keines Volkstrauertages, der im Begriff des Volkes ein Denken mitführt, das in Deutschland immer mit der Blut- und Bodenideologie verknüpft war, für welche Rassismus und Antisemitismus wesentliche Bestandteile sind. Eine Gemeinschaft, die auf Ausgrenzung basiert, lehnen wir ab. Wir kämpfen für ein solidarisches Miteinander aller Menschen, ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung, Hautfarbe oder Herkunft, für eine Gesellschaft jenseits kapitalistischer Ausbeutung und Zurichtung.

Der Naziaufmarsch in Friedrichroda

Wenn also jedes Jahr zum Volkstrauertag vielerorts Personen und Gruppen zusammenkommen, die die deutschen Verbrechen verharmlosen, offen leugnen oder die deutsche Kriegsschuld bestreiten, dann kann es nicht verwundern, wenn an diesen Zusammenkünften auch Nazis beiwohnen. Dass Nazis diesen Tag begehen, ist keine Instrumentalisierung des Tages für andere Zwecke, sondern die logische Konsequenz seiner politischen Bestimmung. Zum 15. Mal findet nun das zentrale Thüringer "Heldengedenken" am 19. November 2017 in der westthüringischen Provinz, in Friedrichroda, statt. Bereits am Vormittag legen die organisierten Thüringer Nazis in ihren jeweiligen Heimatgemeinden Kränze vor den Kriegsdenkmälern ab, oftmals zusammen mit den dortigen Lokalpolitiker_innen. Zum abendlichen Fackelmarsch versammeln sich dann Nazis aus ganz Thüringen am Kriegsdenkmal in Friedrichroda. Im Stein des Denkmals ist die Inschrift "Für Heimat und Vaterland" eingeprägt. Die Zahl der Teilnehmer schwankte in den vergangenen Jahren zwischen einigen Dutzend und bis zu 150. Die traditionell von der Gothaer NPD angemeldete Veranstaltung wird seit 2013 wieder von der Kameradschaftsszene organisiert. Die Kameradschaft "Bündnis Zukunft Landkreis Gotha" mobilisiert schon seit Monaten für den Aufmarsch. In den frühen Abendstunden, und mit Fackeln bewaffnet, begehen die anwesenden Nazis dann ihr ritualisiertes Gedenken an die gefallenen deutschen Soldaten. In gespenstiger Atmosphäre werden die Geister der Soldaten des Heeres, der Kriegsmarine, der Luftwaffe, der Waffen-SS und des Volkssturms zurück in die Reihen ihrer Kameraden gerufen. Auferstanden ist zwar bis heute noch keiner, doch der Gruselfaktor in Friedrichroda ist enorm. Zum Abschluss der Zeremonie singen die Nazis noch Soldatenlieder und begehen eine Schweigeminute für die Verbrecher, die Auschwitz, Treblinka und all die anderen Konzentrations- und Vernichtungslager möglich gemacht haben, die Millionen Menschen ermordet und Europa in Schutt und Asche gelegt haben.

Auf die Straße

Protest gegen den Naziaufmarsch und das Volkstrauertagsgedenken gab es in den vergangenen Jahren fast ausschließlich von Seiten der Antifa. Die Mehrheitsbevölkerung von Friedrichroda versteckt sich in ihren Häusern, vermutlich wegen einer Mischung aus Desinteresse und heimlicher Sympathie für die Nazis. Die Verantwortlichen der Stadtpolitik versuchten das Thema in den vergangenen Jahren, so gut es ging, zu verschweigen. Das machte Friedrichroda gewissermaßen zu einem Sonderfall Thüringischer Protestkultur. Wo andernorts bei ähnlichen Naziaufmärschen sich sofort Initiativen ans Werk machen, um Proteste zu organisieren, wollte man in Friedrichroda davon jahrelang nichts wissen. Und wo Schweigen und Ignorieren nicht mehr möglich waren, weil der Druck von außen zu groß wurde, griff man - wie andernorts auch - zur Extremismusdoktrin. Schädlich für das Image des Kurortes seien demnach nicht bloß die Nazis und ihre Aufmärsche, sondern auch diejenigen, die die Aufmärsche und den öffentlichen Umgang mit ihnen problematisieren. Das Resultat dieses Manövers war letztlich die Akzeptanz des Naziaufmarschs und die Gleichsetzung des antifaschistischen Widerstandes mit den Nachfahren von Mördern. Erst im Jahr 2014 begannen Bürgermeister und Stadt von dieser Strategie des Beschweigens Abstand zu nehmen. Erstmals gab es, zwar zögerlich und nicht ohne eine weitere Abgrenzung zu den antifaschistischen Aktivitäten, einen Aufruf der Stadt sowie von Seiten der Zivilgesellschaft, gegen den Aufmarsch zu protestieren. Friedrichrodas Bürgermeister nahm sogar an der antifaschistischen Kundgebung am Volkstrauertag teil und hörte sich geduldig Redebeiträge zur Kritik seiner Politik im Konkreten und der deutschen Gedenkpolitik im Allgemeinen an.

Auch in diesem Jahr wollen wir am 19. November in Friedrichroda nicht nur gegen den Aufmarsch der Nazis auf die Straße gehen, sondern gegen eine deutsche Gedenkpolitik, die die Opfer der deutschen Vernichtungspraxis wie die Kämpfenden gegen das faschistische Deutschland verhöhnt, indem sie sie mit ihren Mördern in das gleiche Gedenken einbegreift. Der Kampf gegen den Volkstrauertag und seine Verfechter ist also ein Kampf gegen das Vergessen, gegen die deutsche Version von Versöhnung und gegen alles was sich mit der Macht der Herrschenden Geltung verschafft: Gegen Deutschland und seine Nazis!

Antifaschistisches Bündnis Gotha, Oktober 2017






Das Antifa-Bündnis Gotha besteht aus:

- Antifaschistische Aktion Gotha [AAGTH]

- Antifaschistische Gruppen Südthüringen [AGST]

- Dissens - Antifaschistische Gruppe Erfurt

- Einzelpersonen