12. Oktober 2013
"Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen die modernen Produktionsbedingungen herrschen,
erscheint als eine ungeheure Ansammlung von Spektakeln. Alles, was unmittelbar erlebt wurde, ist in
eine Vorstellung entwichen." (Guy Debord)
Dieses Zitat des Situationisten Debord soll hier an erster Stelle stehen, weil es auf genau die
Problematik hinweist, die sich in der "spektakulären Aktion" von gera-nazifrei beim Nazi-Event
"Rock für Deutschland" in Gera und der Kritik daran durch die Gruppe Juri entlädt.
Zur Erinnerung:
Im Juli 2013 betraten eine Reihe von Akteur_innen des Bündnisses gera-nazifrei angemeldet und unter
Polizeischutz das Veranstaltungsgelände des Nazi-Events "Rock für Deutschland" in Gera, und bildete dort
eine Menschenkette, die sich mit einzelnen Buchstaben auf der Kleidung zu einem Schriftzug
"Feste feiern ohne Nazis" formierte. Die Veranstalter der Nazis waren informiert und wiesen
ihre Ordner an, die eigenen Veranstaltungsteilnehmer_innen von dieser Gruppe von Protestierenden
fernzuhalten. Infolge erwirkten die Nazis einen Gegenbesuch auf der Anti-Nazi Kundgebung, ebenfalls
unter Polizeischutz. Im nachhinein wurde über Social Network-Medien suggeriert, dass es sich um eine
unangemeldete Überraschungsaktion handelte, was sich schnell als Lüge erwies.
Zurück zu Debord:
Laut Debord wird im Spektakel eine reale Handlung durch Projektionen (Werbung, Klischees,
Propaganda,) zum Bestandteil einer Scheinwelt mit realen Auswirkungen auf die Menschen. Die
Realität wird mit dem Wunschdenken vermengt und dieses Gemenge für bare Münze genommen. Vielen
politischen Akteur_innen geht es immer mehr nur noch darum, ein "Zeichen" zu setzen, dass dieses
Wunschdenken der eigenen Realität transportieren soll und die Wahrnehmungen damit wieder zurecht
rückt. Spektakel eben.
Gera-nazifrei hat mit ihrer Aktion, nämlich angemeldet unter Polizeischutz auf das
Veranstaltungsgelände des "Rock für Deutschland" in Gera zu gehen und sich dabei fotografieren
zu lassen, ein solches Zeichen gesetzt. Das BgR Weimar hatte verstanden, wie dieses Zeichen
richtig zu verstehen ist und schwallte auf ihrer Facebook-Seite von einer "krassen",
"überraschenden" und "unangemeldeten Aktion". Komischerweise ist nach der Kritik durch Juri
dieser Eintrag verschwunden und einmal weniger ein Siegerfoto zu sehen. Das Spektakel war also
perfekt, konnte über die eigene Ohnmacht im Umgang mit dem RFD und den Nazis in Ostthüringen
hinwegtäuschen und ein "Zeichen setzen". Das ganze natürlich gesetzestreu, demokratisch,
gewaltfrei und bis in die Zähne mit unbändigem zivilen Ungehorsam bewaffnet, wenn da nicht die
SpielverderberInnen von Juri wären. Die fühlen sich nämlich als BündnispartnerInnen zurecht
verarscht und fragen auch zurecht, worin denn ziviler Ungehorsam besteht, der vorher für seinen
Ungehorsam um Erlaubnis bittet. Gera-nazifrei hat hier wirklich ganze Arbeit geleistet und die
Niveaustange des bürgerlichen Anti-Nazi Protestes in Thüringen noch tiefer gehängt.
Der bürgerliche Antinazi-Protest in Thüringen versucht sich immer wieder in der Quadratur des
Kreises bei der eigenen politischen Verortung:
Legalität des Zivilen Ungehorsams
Einerseits soll der zivile Ungehorsam und mit ihm die Zivilcourage nicht vor Verboten halt machen,
andererseits wird genau diese Zivilcourage gefordert, weil es einen Mangel an Verboten zu geben
scheint - für Nazis. In einer sehr bösen Lesart wäre dann die Anti-Nazi Zivilgesellschaft so etwas
wie eine Bürgerwehr, die aus Mangel an autoritärem Staat gegenüber Nazis in die Bresche springt und
somit den Staat auffordert, die öffentlichen Nazi-Aktionen zu beenden. Der Anlass wird mit
Blockaden gleich mitgeliefert. In Thüringen wird dieses Angebot von der Polizei immer wieder
dankend angenommen und auch an Hand von relativ kleinen Blockaden das Versammlungsrecht der Nazis
eingeschränkt. Dies ist eine Win-Win Situation: Der Staat hat seine Autorität nicht eingebüßt,
Thüringen kann sich als "bunt statt braun" feiern und die Zivilgesellschaft hat wieder einen Sieg
davongetragen. Laut Gera-nazifrei war es ja auch nur die Intention auf das Gelände des RFD zu
gehen, um durch "Fehlverhalten" der Nazis der Polzei die Handhabe zu geben, die Veranstaltung zu
beenden. Das ganze natürlich "gewaltfrei", womit wir beim nächsten Thema wären.
Ziviler Ungehorsam und Gewaltfreiheit
"Es entspricht dem Geist, der Logik und der Praxis des Zivilen Ungehorsams, strikt gewaltfrei
vorzugehen. Das Ziel, für das er eintritt, die Bekämpfung des Rechtsextremismus als
gesellschaftliches Problem mit rechtsstaatlichen Mitteln, würde verdorben und unglaubwürdig wenn
die Bürger dabei selbst zur Gewalt griffen. In der Frage der Gewaltanwendung manifestiert sich die
Abgrenzung von anderen gesellschaftlichen Gruppen, die gegen Rechtsradikalismus aktiv sind. Die
Unterscheidung von Gewalt gegen Sachen und gegen Personen ist dabei ohne Bedeutung: Ziviler
Ungehorsam handelt gewaltlos." (Peter Zimmermann)
Dieses Zitat findet sich in einem Debattenbeitrag auf der Homepage des ANW Jena und weist
symptomatisch den Umgang mit Gewalt von seiten der "Friedlichen BlockiererInnen" auf. Sie wird
einfach wegdelegiert.
Blockaden schaffen im Grunde genommen Zwangssituationen, die den politischen Gegner einschränken
und behindern. Dies kann auch Nötigung genannt werden und geht auch als solche okay. Der Polizei-
Apparat reagiert je nach Situation, politischer Vorgabe und politischen Verhältnissen vor Ort
unterschiedlich auf diese Nötigung. Meist ist diese Vorgehensweise aber berechenbar, so jedoch
nicht bei den Nazis. Wer Nazis zu etwas nötigt, was sie nicht wollen, muss mit Gewalt rechnen.
Dieser Gewalt möchte die Thüringer Zivilgesellschaft aber nicht ausgesetzt sein und hofft dabei
unter der Hand immer noch auf das Antifa-Spektrum, meist jedoch darauf, dass die Cops schon die
politischen GegnerInnen auseinanderhalten werden. Die Gewaltfreiheit besteht hier lediglich darin,
sich nicht selbst die Finger schmutzig machen zu müssen und sich dabei mehr oder weniger auf das
Gewaltmonopol des Staates zu verlassen. Dieses wird erst dann partiell kritisiert, wenn es sich
gegen einen selbst wendet.
Wer sich mit Nazis anlegt, muss sich auf gewalttätige Situationen vorbereiten und es ist eben auch
Teil der Politik in erster Person, sich diesen Situationen zu stellen. Dies hat nichts mit
Gewaltverherrlichung zu tun sondern mit unserem Verständnis von Zivilcourage. Die vielgeschmähte
Gewaltbereitschaft ist in Sachen Antifa für uns nichts als die Konsequenz des eigenen Handelns zu
tragen! Gera-nazifrei verrannte sich genau an diesem Punkt in Kompromisse und landete, um den
Schein wahren zu können, bei ihrem Spektakel.
Ziviler Ungehorsam ist staatstragend
Die zivilgesellschaftliche Bürgerwehr betont immer wieder gesetzes- und demokratiekonform zu sein.
Ihr gehe es um die Durchsetzung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und dass der Staat nicht
auf dem rechten Auge blind sein solle. Dass der Staat diese Blindheit gegenüber Rechtsradikalismus
nach wie vor besitzt, ist zum einen der antikommunistischen Tradition des deutschen Rechtsstaates
geschuldet, zum anderen aber der Sympathien der Sicherheitsapparate gegenüber rechtsradikalen und
autoritären Lösungen. Der zivile Ungehorsam konzentriert sich jedoch vornehmlich auf subkulturelle
Naziszenen, die mittlerweile stark gesellschaftlich marginalisiert sind. Autoritäres Denken an
sich, Staatshörigkeit im besonderen, wird in den zivilcouragierten Konstrukten weniger hinterfragt.
Das, was Faschismus und Nationalsozialismus hervorbrachte, nämlich kapitalistische
Vergesellschaftung und das falsche Bewusstsein dass die Entfremdung durch diese hervorbringt, wird
weitestgehend affirmiert und soll vom braunen Dreck gereinigt werden. Wer von Kapitalismus aber
nicht reden will, soll von Faschismus schweigen!
Fazit:
wir sind es satt, dass die Zusammenarbeit in Anti-Nazi Bündnissen immer auf den kleinsten
gemeinsamen Nenner heruntergebrochen wird, nämlich Nazis doof zu finden. Uns geht es um mehr als
nur gegen Nazis zu sein! Wir wollen keine politischen Propaganda-Lügen aufgetischt bekommen, noch
selbst uns die Taschen vollhauen und lehnen die politsche Aktionsform des Spektakels ab. Eine
Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Kräften kann nur über eine öffentliche kritische
Auseinandersetzung und über weitreichender formulierte politische Forderungen geschehen, anstatt
über formelhafte Kurzaufrufe voller Phrasen und hierarchisch gelenkte Aktionen. So lange da sich
nichts bewegt ist alles was wir wollen, mit euch nichts zu tun zu haben - und die befreite
Gesellschaft natürlich.