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„Antikapitalistische & Antiglobalistische Kampagne“

Seit dem März 2006 agiert die rechtsextreme „Antikapitalistische & Antiglobalistische Kampagne“ in Ostdeutschland. Die aus der Anti-Hartz-4-Agitation und den fortlaufenden Bemühungen der extremen Rechten, Fuß in sozialen Bewegungen zu fassen, hervorgegangene Kooperation parteiungebundener Neonazis und NPD-Kader v.a. aus Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen stellt den derzeitigen Höhepunkt der Aneignung von Globalisierungskritik, verkürzter völkischer Kapitalismuskritik sowie populistischer Betätigung dar. Die Neonazis schwimmen damit verspätet im deutschen Mainstream der Globalisierungsangst und nutzen Gegenstände der öffentlichen Debatten, um sie für ihre antisemitische und nationalsozialistische Propaganda zu nutzen. Ihre Kritik ist nicht nur pseudointellektuell sondern auch grundsätzlich nicht radikal – vielmehr reiht sie sich in die deutsch-populistische „Heuschreckenrhetorik“ des Spätkapitalismus ein und verbindet sie mit der antidemokratischen Forderung nach einem neuen Nationalsozialismus. Ideologisch ist die „Antikapitalistische & Antiglobalistische Kampagne“ bei der sog. „Neuen Rechten“ einzuordnen (siehe http://lexikon.idgr.de/n/n_e/neue-rechte/neue-rechte.php), jedoch stark geltungsbedürftig und praxisorientiert. Wichtigstes Betätigungsfeld ist das Ausrichten von Demonstrationen und Kaderschulungen. Verantwortlich sind altbekannte Neonazis aus dem Spektrum der NPD und sog. freien Kameradschaften. Diese arbeiten zusammen mit regionalen Nazikadern und regionalen Gruppen/Parteiverbänden zur Organisation von Veranstaltungen. Koordiniert sind die thüringer Neonazis der „Volksfront“ im „Aktionsbüro Thüringen“. Die „Antikapitalistische & Antiglobalistische Kampagne“ tritt als eine Arbeitsgruppe dieser Vernetzung auf. Im Folgenden werden einiger wesentliche Merkmale der neonazistischen Propaganda näher beleuchtet.

[System]

Statt den, von den Nazis verteufelten „globalen Kapitalismus“ wird von diesen ein „nationaler Sozialismus“ eingefordert. Wie dieser aussehen sollte, können die Rechtsextremen selbst nur wage umreißen. „Raumorientierte Volkswirtschaft statt Globalisierung“ und „Die Wirtschaft muß dem Volke dienen und nicht dem Profit, den Börsenwerten, dem Wettbewerb oder einzelner Raffkes.“ Neben der Schürung von Globalisierungsängsten in der Bevölkerung appellieren die Rechten an ein konstruiertes Gewissen des „Volkes“, ohne sich bewusst zu werden, mit dieser vorgestrigen Haltung in die selbe Presche zu springen, wie die in ihrem „Seelen und Geistesleben ... äußerst begrenzt bundesrepublikanische Politiker“, welche mit gleichen Argumenten Großkonzernen Steuerbegünstigungen einräumen, um so die im internationalen Wettbewerb vermeintlich wichtigeren deutschen Arbeitsplätze zu bewahren. Begründbare Kritik an der kapitalistischen Globalisierung, wie die Ausbeutung der Arbeitskraft und dem systematische Raubzug in Ländern, auf deren Kosten der aktuelle deutsche Wohlstand geht lässt sich in der oberflächigen Argumentation der Rassisten nicht finden. Vielmehr verrennen sie sich in wirren Volkskult und dem Aufgreifen der deutschen nationalsozialistischen Vergangenheit: „Deutschland nahm immer eine zentrale Rolle in geistigen Entwicklungsprozessen ein. Deshalb müssen wir auch als Vorreiter den nationalen Aufbruch in einen deutschen Sozialismus wagen: die Umwälzung der fesselnden Faktoren als Lösung von globalistischer Einheitstyrannei ist im Sinne aller Völker!“ Wie fern Pluralismus und Emanzipation „nationalen ... deutschen Sozialismus“ liegen, muss hier nicht hervorgehoben werden. (Alles kursiv Gedruckte sind Zitate aus Schriften der „Antikapitalistischen & Antiglobalistischen Kampagne“.)

[Volksgemeinschaft & Globalisierung]

Die Neonazis betrachten globalisierende Prozesse als natürlicher Feind des deutschen „Volkes“. Dies resultiert aus der schieren Existenzangst der Deutsch-Nationalen, die mit dem Paradigmenwechsel und der schrittweisen Auflösung nationaler Konstrukte, selbstverständlich zugunsten eines neuen Konstruktes „Europa“, jeglichen realpolitischen Bezug verlieren. Das „deutsche Volk“ in der wahnhaften Idee der „überlegenen Herrenrasse“ wird damit praktisch überwunden und wird hegemonialer Akteur einer neuen europäischen Ordnung. Damit einhergehende Einbußen in Luxus, Wohlstand und Lebensstandart in Folge seichter binneneuropäischer Umverteilungsprozesse der auf Konkurrenz basierenden kapitalistischen Ordnung instrumentalisieren die rechtsextremen Vordenker zur Betonung einer „Volksgemeinschaft“, welche ihren wahren Charakter der imperialistischen und zerstörerischen „Leitkultur“ in der Zeit des 3. Reiches offenbarte. Insofern stehen die Nazis, mit ihrer auf dem Wohl des (abstrusen Begriffes) „deutschen Volkes“ orientierter Ideologie dem Vorsitzenden der Zeiss Werke Jena, der sein „Engagement“ gegen Rechtsextremismus mit Verweis auf die Gefährdung von internationalen Absatzmärkten und damit deutsche Arbeitsplätze durch einen schlechten Ruf Jenas als braune Aktionsstätte, näher als beiden lieb sein dürfte. In der Konsequenz ist die kapitalistische Standortlogik nichts anderes als marktliberale und konkurrenzgesteuerte „Volksgemeinschaft“ ohne ideologischen Mythos und Vernichtungsbestrebungen.

[Europa]

Die Brücke in die Mitte der Gesellschaft schlägt die neue extreme Rechte durch die Forderung nach einem „Europa der Vaterländer“ (Untertitel auch des 2. „Festes der Völker“ in Jena). Die dahinter stehende ethnopluralisitische Idee ist modernisierter Rassismus. Statt auf die bedingungslose Überlegenheit des „deutschen Volkes“ über allen anderen zu bestehen, wird die Vorherrschaft europäischer „Völker“ propagiert. Dies schließt nicht nur alle Nicht-Europäer und Nicht-Europäerinnen aus der Daseinberechtigung in der nationalsozialistischen Ideologie aus, sondern integriert auch die Forderung, das jedeR gefälligst da zu leben hat, wo er oder sie geboren wurde. Dieses gesamteuropäische Modell der Neonazis fordert also nicht mehr nur „Deutschland den Deutschen“, sondern ebenso „Frankreich den Franzosen“, „England den Engländern“ usw. Eine „Liberalisierung“ der rechtsextremen Szene ist hier also nur Schein – statt kulturellen Austausch anzuerkennen und die daraus resultierende Vielfalt positiv zu bewerten, chiffrieren die Neonazis nur ihre Parole „Ausländer raus“ unter einem unscheinbaren und mainstreamverträglichen „Inter-Nationalismus“. Inwieweit auch diese Forderung bereits politische Praxis ist, beweisen gemeinsame europäische Abschiebungen und Auffanglager an den europäischen Außengrenzen.

[Antiamerikanismus/Antisemitismus]

Wesentliches, und ebenfalls brückenschlagendes Element zu breiten Teilen der Bevölkerung ist ein latenter Antiamerikanismus und Antisemitismus. Hinter einen einfachen Bildsprache werden deutsche und europäische Stereotypen gegen den nordamerikanischen Kontinent reproduziert. Die vermeintlich kultur- und wertlose amerikanische Gesellschaft, deren imperialistische Weltpolitik die Freiheit und kulturelle Souveränität Europas bedroht sind solche paranoide Motive. Dabei handelt es sich Rhetoriken, die ihren Nährboden in den deutschen Medien, Universitäten, Stammtischen und nahezu allen etablierten Parteien (inkl. Teilen der Linkspartei & Wasg) finden. Dazu kommt ein grober Antisemitismus, welcher traditionelle revisionistische und rechtsextremistische Theorien einer „jüdisch-amerikanischen Weltverschwörung“ aufgreift und hier hinter geläufigen Synonymen wie „nomadisch“ und “Liberalisten der US-Ostküsten“ versteckt.

[Pop-Populismus]

Nicht nur ideologisch-pseudointellektuell kommen die neuen Nazis modern daher. Auch in ihrer äußeren Erscheinung finden sich Anknüpfungspunkte, die besonders für Jugendliche attraktiv wirken sollen. Bunte Transparente, schmissige Parolen, frisches und harmloses Auftreten nach außen: Die Neonazis sind das, als was sie von Antifaschisten bereits anlässlich der Auftaktdemonstration der „Antikapitalistische & Antiglobalistische Kampagne“ am 01.04.2006 in Arnstadt enttarnt wurden: Der Wolf im Schafspelz. Denn neben ihren zahllosen menschenverachtenden Chiffrierungen trennt sie vor allem eines von rechtspopulistischen Parteien wie der CSU: die klare und deutlich formulierte Ablehnung des demokratischen Systems, eine antipluralistische Grundeinstellung und die unmissverständliche Forderung nach einem neuen Nationalsozialismus. Denn unter dem weißen Pelz agieren nach wie vor militante Neonazis, denen daran gelegen ist, aus ihrem Saubermannimage heraus in die Landtage und die politische Öffentlichkeit einzudringen.

[So what?]

Die Kampagne ist neues Aushängeschild und beispielhaft für die Demagogie der Neonazis. In dem sie Ängste und Probleme der mit dem aktuellen kapitalistischen System unzufrieden Menschen aufgreifen erhoffen sich die Nazis neue Massen für ihre Interessen mobilisieren zu können. Die vergangenen Wahlerfolge der NPD zeigen, dass dieses Konzept zumindest im Ansatz aufgeht und sich viele „Frustwähler“ gewinnen lassen. Jedoch stellen die Nazis nie die neoliberalen Praktiken des Sozial- und Bildungsabbaus in Frage, sondern lediglich die Folgen für einen Teil der davon Betroffenen: die nationalen Deutschen. Kapitalwirtschaft und die Verteilung von Produktionsmitteln, sowie eine klassenförmige Ordnung als solche können die braunen Rattenfänger gar nicht in Frage stellen, da die von ihnen angestrebte diktatorische Ordnung auf dem gleichen Konzept beruht. Während im modernen Kapitalismus die Interessen der Produktionsmitteleigentümer durch politische (Schein)Partizipation, Massenkonsum und soziale Absicherung auf geringstem Level gegen die Interessen der Lohnabhängigen und Arbeitslosen geschützt werden, liegt das Finanzmonopol im nationalsozialistischen Faschismus allein beim Staat. Dieser unterdrückt seine Bevölkerung nicht durch Abhängigkeit sondern durch Terror, Gewalt und Kontrolle. Während gemäßigter politischer Pluralismus im kapitalistischen System als Ventil für Unzufriedenheit wirkt und in der Konsequenz (nach dem gleichen Prinzip der Kulturindustrie) das System als Ganzes legitimiert, wird jedwede oppositionelle Haltung (egal ob parlamentarisch, gewerkschaftlich, außerparlamentarisch...) im Faschismus verfolgt. Die Kapitalinteressen liegen beim Staatsmonopol, welches von der „Volksgemeinschaft“ getragen wird. Darin liegt eine der Kontinuitäten nationalsozialistischer Demagogie: „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“ Weitere Parallelen zur faschistischen NSDAP finden sich im Aufgreifen ihres Antiamerikanismus, des reaktionären Antisemitismus und dem „Europakonzept“, welches bereits in der SS Nazideutschlands praktiziert wurde. Rein pragmatisch geht es in der „Antikapitalistischen & Antiglobalistischen Kampagne“ auch schlicht darum, Perspektiven für rechtsextremistische Agitation und Legitimation für die als „politisch“ verkaufte, menschenverachtende Ideologie der Neonazis zu liefern.

Das Konzept dieser Kampagne findet sich auch in dem europaweiten Nazifestival „Fest der Völker“ wieder, welches am 10.06.2006 zum zweiten Mal in Jena stattfinden soll. Alle analysierten Elemente sind hier wiederzufinden. Dazu kommt der vernetzende und werbende Charakter, der diese Musikveranstaltung durch die hier anzutreffenden internationalen „Blood and Honour“ Bands und Rednern von rechtsextremen Parteien und parteifreien Neonazis aus ganz Europa kennzeichnet. Das 2. „Fest der Völker“ stellt sich ausdrücklich ins „Zeichen der antikapitalistischen und antiglobalistischen Kampagne.“

[Chronologie von Veranstaltungen unter diesem Motto]

  1. 04.03.06
    „2. antikapitalistische Kaffeefahrt“, Stationen: Bad Salzungen, Ilmenau, Arnstadt, Neudietendorf
    Infos: http://de.indymedia.org//2006/03/140636.shtml
  2. 18.3.2006
    Saalveranstaltung „Theorie und Praxis“, Lichtenhain-Oberweißbach
    Infos: http://de.indymedia.org//2006/03/141984.shtml
  3. 01.04.2006
    Demonstration "Freie Menschen statt freie Märkte", Arnstadt
    Infos: http://antifa-aktion.info/1april/
  4. 22.04.2006
    Demonstration „Her mit dem schönen Leben! Mut zu Alternativen!!!“, Halberstadt
    Infos: http://germany.indymedia.org/2006/04/144806.shtml
  5. 28.04.2006
    Vortrag „Wirtschaftspolitik der 30er Jahre & Parallelen zu heute“ von Thorsten Heise, bei Bad Hersfeld
  6. 01.05.2006
    Demonstration „Freie Menschen statt freie Märkte! Kapitalistische Normalitäten angreifen! Alternativen schaffen!“, Magdeburg
    Infos: http://www.a-i-p.tk/